Von Dortunten und Dortoben. Vorstellung von Elvira Dones‘ Roman „Verbrannte Sonne“

Von Dortunten und Dortoben.
Vorstellung von Elvira Dones‘ Roman „Verbrannte Sonne“.
Donnerstag, 22. Mai 2025, 19 Uhr
Köşk, Schillerstr. 38
Zutritt barrierefrei | keine barrierefreien Toiletten | Eintritt gegen Spende
Der Albanien-Hype ist allerorten zu spüren – die Wirtschaft floriert, die Tourismus-Branche hat die Republik auf der Balkanhalbinsel zu „Europas bekanntestem Geheimtipp“ gekürt. Florian Kienzle kennt ein anderes Albanien – das seiner Jugend rund um die Jahrtausendwende.
Mit diesem Abend, der den vielschichtigen Titel Von Dortunten und Dortoben trägt, will Florian Kienzle einerseits den von ihm übersetzten Roman Verbrannte Erde der albanischen Exil-Autorin Elvira Dones vorstellen – ein Buch, das Zwangsprostitution und Menschenhandel thematisiert und ein Zeugnis der langwierigen Transformationszeit in Albanien, explizit der 1990er Jahre ist. Andererseits will er vom spannungsreichen Albanien seiner Jugend erzählen – mit albanischer Musik, die ihn damals selbst geprägt hat, sowie mit Fotografien seines Vaters Helmut Kienzle, die von Chaos und Armut, aber auch von Unberührtheit, Offenheit und Hoffnung zeugen und einzigartige Zeugnisse von einem Land sind, das sich seither rasant verändert hat.
ZUM BUCH „VERBRANNTE SONNE“
Viele Geschichten kreuzen sich in diesem Buch. Da ist die Stimme von Leila, die den Roman eröffnet und beschließt. Die junge Frau wurde durch den Mord an ihrer zwölfjährigen Schwester zur Prostitution und einem Dasein ohne jede Würde gezwungen. Ihre Worte werden aus dem Sarg heraus gesprochen, den ihr Vater in das vom Bürgerkrieg erschütterte Heimatland überführen muss. In ihrem Tagebuch hatte seine Tochter ein letztes Mittel gefunden, um sich auf irgendeine Weise auszudrücken und einen letzten Teil ihres Ichs zu bewahren. Elvira Dones beschreibt das Leben in „Dortunten“, aus dem die Opfer der Gewalt gegen Frauen stammen. Es ist ein Platzhalter für viele Länder, aus denen Menschenhändler ihre Opfer rekrutieren. Diese gelangen nach „Dortoben“, den Breitengraden, in denen Wohlstand, Sicherheit und Freiheit zum Greifen nah zu sein scheinen, das gelobte Land, in das sich viele Hoffnungsvolle sehnen.
Ein Buch, das von Härte, aber auch von großer Poesie geprägt ist. Dones gelingt statt einem reißerischen ein aufschlussreicher Roman über die gewalttätige und tragische Welt der Prostitution. Anders als bei vielen anderen Werken zu diesem Thema wird hier deutlich, dass es nichts zu romantisieren gibt an dem ältesten Gewerbe der Welt, wie es verharmlosend genannt wird. Durch die Fülle an Register- und Perspektivwechseln und das breite Format des Romans kommt keine Gefahr des Voyeurismus auf. Dones geht der Frage nach, wie es zu all dem kommen kann. Das Buch erzählt von einer Gesellschaft, die vom Wandel überfordert ist, von Schicksalen, die bis ins kleinste Detail nachverfolgt werden, von einer globalisierten Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, von Träumen, die auf den Bürgersteigen Europas zerbröckeln, vom Leben der Menschen nach dem Zusammenbruch der Diktatur, von der Öffnung, die große Hoffnungen nährte, die sich nach und nach auflösen, vom skrupellosen Kampf um Geld, von der grausamen Ausbeutung der Frauen, dem Aussterben jedes ethischen Handelns und von kleinen Inseln der Liebe und Selbstermächtigung.
ZUR AUTORIN
Elvira Dones ist eine der wichtigsten und produktivsten Vertreterinnen der albanischen Gegenwartsliteratur. Wie viele andere Autorinnen lebt sie seit der politischen Wende im Ausland und schreibt in einer Fremdsprache – hat aber auch das Schreiben auf Albanisch nie aufgegeben. In ihren Werken setzt sie sich insbesondere mit der Rolle und den Schicksalen der albanischen Frauen, mit der Zeit der Diktatur und der Transformationszeit auseinander; richtet ihren Blick aber auch auf gesellschaftliche Missstände in den USA und Lateinamerika. Neben ihrer schriftstellerischen Arbeit ist Dones auch als Dokumentarfilmerin tätig. Im Züricher Verlag Ink Press sind mittlerweile mehrere Romane von ihr erschienen, die meisten wurden aus dem Italienischen übersetzt. Der Roman Verbrannte Sonne erschien 2021 und wurde von Florian Kienzle aus dem Albanischen übertragen.
ZUM ÜBERSETZER UND VERANSTALTER
Florian Kienzle (geb. 1982) ist promovierter Albanologe und freier Übersetzer. Zuletzt erschienen seine Übersetzung von Lindita Arapis Roman „Albanische Schwestern“ im Weidle Verlag sowie eine Arbeit über „Orte und Räume in der albanischen Literatur“ im Harrassowitz Verlag.
Fotos: Helmut Kienzle